Vorgestern traf die Region Herat in Afghanistan ein schweres Erdbeben. Die deutschen Medien erwähnen das zwar, verfolgen die Lage dort aber nicht weiter. Von Nadia erhalte ich ein kurzes Video, das zeigt, dass ihre Eltern die Wohnung verlassen haben und die Nacht im Freien verbringt. Dies sei in einem Garten ein paar km von der Stadt entfernt. Das Internet bricht von Zeit zu Zeit zusammen, so dass die Verbindung zu ihnen nicht durchgehend hergestellt ist. Ihre Verwandten wohnen direkt in Herat. Obwohl das Zentrum des Bebens entfernt liegt, stürzen auch hier Gebäude ein und es gibt Tote. Nadia befindet sich in der Prüfungsvorbereitung zur Pflegehelferin. Ich hoffe, sie hat die Kraft, sich darauf zu konzentrieren. Die auf dem Land lebende Bevölkerung ist allerdings noch viel stärker betroffen, halten doch die einfachen Lehmhäuser dem Beben überhaupt nicht stand und begraben die Bewohner unter sich. Ich hoffe einfach, dass die Erde sich in dieser Region beruhigt.
In Deutschland scheinen sich zur gleichen Zeit alle Konflikte zuzuspitzen: Inflation, Klima, Energie, Gendern, Bürgergeld, Kindergrundsicherung, Kriege (seit gestern neben dem Ukrainekrieg der Überfall auf Israel) – und natürlich das Hauptthema: Flüchtlinge. Es sind zu viele, die zu viel in Anspruch nähmen. Es ist mein 6. Flüchtlingsbuch, das ich schreibe, es ist mein 9. Jahr in der Flüchtlingshilfe, es werden die gleichen Probleme genannt wie vor 8 Jahren auf diesem Gebiet, es hat sich nichts getan. Zählt „meine“ Familie eigentlich noch zur Gruppe der „Flüchtlinge“ hinzu? Menschen ertrinken im Mittelmeer, es ist keine europäische Lösung in Sicht (in mir erhärtet sich der Gedanke, dass es eine solche nicht geben kann, denn bei allem Gemeinsamen – gibt es nicht zu übersehende nationale Besonderheiten).
Ich finde es nach wie vor untröstlich, dass auf dieser Welt Menschen bewusst oder unbewusst nicht vor dem Ertrinken gerettet werden. Ich bin aber auch davon überzeugt, dass die Einwanderung nach Deutschland so nicht weiter gestaltet werden kann, da eine Überforderung der Kommunen und aller Ehrenamtlicher offensichtlich ist. Das Zauberwort „Integration“ erreicht komischerweise den Alltag eines großen teils Geflüchteter nicht.
In einem Artikel in der „Zeit“, die ich in einer Wochenausgabe abonniere, lese ich, dass die Deutschen „veränderungsmüde“ seien. Auch wenn ich davon nur zweitrangig betroffen bin aufgrund von Inflation und steigender Energie- und Heizkosten, stimme ich dem zu. In der Haut von Leuten, die z.B. ihre Eigenheime energetisch umrüsten müssen, möchte ich nicht stecken. Die Regierungsparteien schieben sich gegenseitig „den schwarzen Peter“ zu und streiten sich öffentlich zu den Konfliktthemen, dessen Kern die Flüchtlingsproblematik ist, statt an Lösungen zu arbeiten.
Nachdem nun bemerkt wird, dass die Zuwanderung nicht zu stoppen ist, wird jetzt die Frage gestellt, warum eigentlich Deutschland gerade als Zuwanderungsland so attraktiv ist. Das läge, so die umwerfende Antwort, an der Sogwirkung der guten sozialen Absicherung. Im o.g. Artikel wird das verneint. Der hauptsächliche Grund dafür sei unsere demokratisch-freiheitliche Ordnung. Dem zu glauben, fällt sogar mir schwer. So gibt es doch erwiesene Beispiele dafür, dass vor allem aus den afrikanischen Ländern Söhne nach Europa geschickt werden, um vom hier erworbenen Geld die Familie zu Hause zu ernähren, dass temporäre Schwarzarbeit für Bürgergeldempfänger zusätzliche Einnahmequellen ist, dass neben den 502 Euro Bürgergeldsatz pro Kopf Miete, Betriebs- und Heizkosten übernommen werden und man grundsätzlich krankenversichert ist. „Meine Familie“ (Eltern und 3 Kinder) hat also 2018 Euro zur Verfügung. Davon ab gehen Strom, Internet, Handys, Hausrat/ Haftpflicht, kieferorthopädische Behandlung für 2 Kinder. Es bleiben übrig 1500 für Kleidung, Haushaltsführung, Hygiene und Körperpflege, Lebensmittel, Kultur, Bildung, Fahrtkosten, Briefverkehr mit den Ämtern, Übersetzungsleistungen. Das sind ca. 10 Euro pro Person pro Tag. Das mag zunächst ausreichend klingen. Nicht aber, wenn 2 Jungs in der Pubertät sind, in einem Fußballverein (Beitrag wird übernommen, nicht aber die Kleidung) spielen oder zu Freunden zum Geburtstag eingeladen sind. Auch müssen Handy, PC oder Tablet auch vorhanden oder angespart werden, um kommunizieren zu können. Was ist mit den aller 3 Jahre neu zu beantragenden Ausweisen und Pässen? Auch diese müssen selbst bezahlt werden., d.h. monatlich Geld zurückgelegt werden. Ich bin stolz auf Nadia, die Familienmanagerin! Diese existenzielle finanzielle Absicherung kann schon dazu führen, dass Deutschland für Flüchtlinge ein Magnet ist. Sollte doch lieber auf Sachleistungen zurückgegriffen werden? Zumindest für Asylbewerber, deren Asylgesuch noch nicht bearbeitet wird und für Ausreiseverpflichtete, würde ich das befürworten.
Eigentlich ist die strenge Sicherung der EU-Außengrenzen die einzige Option. Ich bin müde, mir vorstellen zu müssen, dass unser Land aufnimmt und aufnimmt ohne tatsächlich klare Integrationsstrukturen aufzubauen.