Auf dem Weg zu Erwin Strittmatter

30 Jahre lang stehen zahlreiche Strittmatter-Romane in unserem Bücherregal, ohne dass sie nochmals in die Hand genommen wurden, obwohl „Tinko“ mein erstes größeres Kinderbuch war, das ich las. Bis heute empfinde ich es als eines meiner Lieblingsbücher (warum genau, weiß ich nicht). In einer Klosterbuchhandlung fiel uns vor einigen Tagen ein kleiner Brandenburg-Schriftsteller-Führer in die Hand. Autoren wie Brecht, Fontane, Kleist suchten wir in früheren Jahren schon auf. Vom Strittmatter-Laden und Museum hatten wir gehört, aber nicht gewusst, dass das Areal zugänglich ist.

An einem sonnigen August-Freitag machen wir uns auf den Weg nach Bohsdorf zum Gehöft der Strittmatters, aus dem heraus der Autor einige seiner großen Romane schrieb. „Der Laden“ liegt an der Dorfstraße und wurde vom Erwin-Strittmatter-Verein, dessen Gründungsmitglied Heinrich Strittmatter, ein Bruder des Autors, ist, liebevoll zu einer Gedenkstätte umgewandelt. Gegenüber des Ladens steht eine Kohlen-Lore, die daran erinnert, dass diese Gegend eine wichtige Bergarbeiterregion war.

Betritt man den Laden, ist man in einer anderen Welt. Strittmatter selbst bezeichnet diese als „sein erstes Zuhause in der Heide“. Man betritt den Kolonialwarenladen/ die Bäckerei von Strittmatters Eltern um 1930. Alle Räume des Hauses sind zeitgetreu eingerichtet, teils mit Spendengaben, teils mit originalen Möbelstücken der Familie.

Faszinierend ist die Verbindung von Biographischem, Historischem und Literarischem. Auf Möbelstücken oder Schaubildern findet am Auszüge aus den jeweiligen Romanen, die dieses Detail beschreiben. Seine Romanfiguren aus der Laden-Trilogie und seinem ersten Roman „Ochsenkutscher“ entsprechen Bohsdorfern, die tatsächlich lebten. Sie schildern deren Leben und sprechen deren Sprache. Die bildhafte, detailgetreue Beschreibung der Umstände, in die die einfachen, schwer arbeitenden Menschen hineingeboren wurden, zeugt von der tiefen Liebe des Autors zu Land und Leuten.

Im Verlaufe des Rundgangs wird man auch Zeuge anderer Lebensabschnitte Strittmatters. Dabei stößt man auch auf Widersprüchlichkeiten im privaten und gesellschaftlichen Leben. Dass diese nicht ausgespart werden, ist ein wesentlicher Aspekt der Ausstellung. Vielfach entnimmt man auch selbstkritische Aussagen und Aufzeichnungen des Dichters aus seinen Tagebüchern, die wir nicht kennen, die nach diesem Besuch aber unser Interesse stark wecken.

Gegenüber des Museums befindet sich ein weiterer kleiner Laden, das „Kramlädchen und Hofschänke“.

Dass es eine tolle Ergänzung zum Museum sein würde, nicht nur wegen des Sortiments an verschiedensten Artikeln (von Produkten aus der Region bis zu Porzellan u.a.), ahnen wir beim Eintritt nicht, bis uns alte Fotografien an der Wand auffallen. Bei einem sehr guten Kaffee erfahren wir vom Besitzer nicht nur, dass er Erwin Strittmatter kennt, sondern hören auch zahlreiche Anekdoten über die Familie des Autors und ihn selbst. Viele solcher Episoden finden sich ja in den Romanen wieder. So holt der Chef einen der Bände des Autors heraus und liest uns vor. Eine Lesung! Welche Freude! Von hier aus nochmals ein großes Dankeschön dafür.

Weiter geht es zum Friedhof

Da uns der Abschied vom Autor recht schwer fällt, laufen wir über den kleinen Friedhof zu den Gräbern der Eltern des Schriftstellers, worüber dieser schreibt: …wo die Vorfahren, die mich zeugten, auf dem heidigen Friedhof liegen, als ob sie tief in die Erde hineinlauschten.“.

Im Inneren begleitet uns der Autor weiter zum kleinen, in der Nähe gelegenen Felixsee, einer ehemaligen Grube mit glasklarem Wasser und einem Aussichtsturm mit einer tollen Sicht über die ganze Region.

Gefüllt, aber auch nachdenklich fahren wir zurück nach Berlin, werden wir doch Zeuge von Zäunen, die uns vor der Schweinepest schützen sollen, Autobahnsicherungen, damit Wildtiere nicht auf die Fahrbahn laufen, zugleich aber deren Bewegungsradius künstlich eingeschränkten, Windrädern und riesigen Umspannwerken, in dessen Nähe wir plötzlich fliegende Störche sehen, zahlreichen sterbenden Bäumen (so vielen wie niemals zuvor), schließlich aus dem Autoradio von der Nachricht, dass es in Grönland regnet und dass ein Vater sein Baby einem amerikanischen Soldaten auf dem Kabuler Flughafen nach oben reicht, da er selbst das Hindernis, das sein Leben retten soll, um ausgeflogen zu werden, nicht überwinden kann.

Mitgenommen ins Leben

  • die Tagebücher Strittmatters „Der Zustand meiner Welt“ zu lesen und in einem Bild-Schreib-Projekt die Frage nach dem Zustand unserer Welt, der Menschen im 22. Jahrhundert zu stellen
  • die nächsten Ziele: Schulzendorf, Strittmatters „zweite Heimat“, das Durchstreifen der „Ländlichen Region Döbern-Land

Links

Beitrag teilen unter