Berlin – Wriezen – Kulturhafen Groß Neuendorf

Glücklicherweise lassen wir uns von der grauen Wolkendecke und den recht niedrigen Temperaturen nicht von unserem Vorhaben, an die Oder zu fahren, abbringen.

Zwischenstation: Wriezen. Man nennt es in den Medien „Das Tor zum Oderbruch“. Jeder kann sich vorstellen, dass dies Erwartungen bei Besuchern und Touristen weckt. Bei uns nicht, denn wir sind weder das eine noch das andere. Wir entdecken unsere Heimat (obwohl wir beide nicht hier geboren sind) und wollen das Entdeckte teilen, um sie anderen nahezubringen.

Wir stellen das Auto am Marktplatz ab, der überdimensional groß erscheint, am Rande hier und da eine Marktbude und in der Mitte ein skurriler Brunnen mit allerlei Fabelwesen, aber auch durchaus realen Figuren. Später lese ich, dass er in den 90er Jahren errichtet wurde und nicht auf das Wohlwollen der Bevölkerung stieß.

Heute sollen die Wriezener ihren Brunnen gegenüber der spätgotischen Kirche lieben. Jedenfalls reckt ein Teufel sein Hinterteil in Richtung dieses Gotteshauses.

Daneben beobachten wir das rege Treiben an einer Gulaschkanone: Bohnensuppe mit Bockwurst und Brötchen. Davor eine Menschenschlange mit allerlei Plastedosen, die vollgefüllt werden. Eine Frau bringt leere Joghurtbecher und andere Gefäße frisch gereinigt zur weiteren Verwendung zurück – erlebte Nachhaltigkeit!

Der Preis für die Suppe beinhaltet Nachschlag bis man satt ist. Heute würde man sagen „all you can eat“. Die Gäste: Arbeiter, Hausfrauen mit ihren Kindern, ein pensionierter Jäger mit seinem alten Hund und wir.

Gestärkt erkunden wir den Ort: Leerstand, wohin man blickt. Wohnungen, Läden ganze Gebäude sind zu vermieten. Einige Läden sind erst seit kurzem geschlossen, vielleicht haben sie den Lockdown nicht überstanden. Vage überkommt uns das Bild von einem „abgehängten Ort“.

In der Bäckerei, einem richtig schönen Landbäcker, erfahren wir, dass Wriezen tatsächlich in den 90er Jahren von der Direkt-Bahnstrecke nach Berlin abgekoppelt wurde. Seitdem geht es abwärts mit dem Städtchen. Auf der kleinen Straße bleiben neben dem Bäcker, einem kleinen Blumenladen nur noch das Ortsbüro der AfD übrig.

Am Ende der Straße stoßen wir auf ein großes Schild: „Wriezener Senf“. Wir durchqueren den Hof und finden tatsächlich ganz hinten eine alte Senffabrik – ein Einmannbetrieb.

Eine ältere Dame hilft beim Etikettenkleben. Wir sind berührt, als wir die Geschichte hören. Die Fabrik ist von der Mutter gegründet und in die Hände des Sohnes übergegangen. Nach ihm wird es keinen Wriezener Senf mehr geben. Ein altes Handwerk wird nicht weiterleben.

Wir kaufen kleine Senfgläser in den verschiedenen Geschmacksrichtungen. Dieses letzte Foto von Wriezen soll den Ort malerisch und zeitlos erscheinen lassen. Wir erfahren eine sehr ruhige, angenehme, verlangsamte Stimmung hier in Wriezen, ein Örtchen, wo die Menschen miteinander ins Gespräch kommen.

Das Mobilnetz funktioniert bis zu Oderbruch hin nicht mehr. Noch immer nicht. Das finden wir schlimm.

Die Überraschung ist Groß Neuendorf. Ein großer Verladeturm, der heute ein Café und eine Ferienwohnung, von der aus man einen weiten Blick auf die Oderlandschaft hat, beherbergt. Daneben einige alte Wohnwagen, die gemietet werden können sowie ein Theaterwaggon, wo von Zeit zu Zeit aufgeführt wird.

Nach einer Pause bei leckerem Café und Kuchen folgt das Staunen über eine Riesenbank, die hinüber zum Maschinenhaus führt – auch hier gibt es eine Ferienwohnung und Ferienzimmer, daneben eine Radausleihstation und eine Skaterbahn.

Alles fügt sich in die schöne weite Landschaft ein. Sitzt man auf einer der beiden riesigen Schaukeln, macht sich ein Gefühl von Freiheit und Weite breit, das wir mit nach Hause nehmen.

Ein Spaziergang kleiner Spaziergang über den Oderradweg und das Dorf rundet unseren Ausflug ab.

Mitgenommen ins Leben

Wir kommen wieder und leihen uns Räder aus.

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