Das Haus macht von außen einen unscheinbaren Eindruck. Wir sind überrascht! Ich war schon in vielen Literaturhäusern, ja sogar Archiven, jedoch in noch keinem war es möglich, originale handschriftliche Bemerkungen, Erinnerungsstücke oder Zeugnisse ohne vorherige Anmeldung, Bestellung und ohne weiße Handschuhe in Augenschein zu nehmen. Hier schon! Man erhält Einblick in das Werk zweier immerhin nicht unbedeutender, auf Usedom geborener Literaten. Wir begegnen der vom CIC (amerikanischer Geheimdienst) angeworbene Dozentin an der Parteihochschule der SED Carola Stern und dem Begründer und Organisator der „Gruppe 47“ Hans Werner Richter. Zu beiden findet man hier zahlreiche sehr interessante Selbstzeugnisse.
Im lichtdurchfluteten Dach des Hauses kann man über ca 60 Minuten einfach hören. Zuhören – für uns eine ungewohnte Tätigkeit, an der wir aber schnell wieder Gefallen fanden. Zu hören sind Ausschnitte aus 6 Erzählungen Richters, alle sehr amüsant. Die Wandbilder stammen von Günther Grass, der sie hier selbst aufgehängt haben soll.
Etwas selbstherrlich und eigensinnig erscheinen Gründung, Arbeit und Auflösung der legendären Gruppe 47. Eingeladen wurde von Richter persönlich, nachdem das kleine Glöckchen geklingelt, durfte kein Wort mehr gesprochen werden, auch die Tagungsorte wählte er selbst aus. Wie oft beschäftigte ich mich mit dieser Gruppe, las von deren widersprüchlichen Beurteilung und doch ihrem Einfluss auf die Literaturentwicklung in beiden deutschen Staaten! Wie viele Schülervorträge hörte ich zum Thema, erfuhr von jungen Autoren, die von der Gruppe gefeiert (wie Ingeborg Bachmann) oder zerrissen (Paul Celan) wurden. Und nun liegt es hier vor mir das kleine „Ordnungsglöckchen“ und all die ganze Geschichte der Gruppe und seines Leiters.
Es sind seltene Momente, in denen man das Arbeitszimmer eines bekannten Autors betreten kann. Für mich ganz besondere Momente. Hier wurde gelebt, hier wurde geschrieben. Hier atmet ein Intellekt. Ich spüre es an der Einrichtung, am Mobiliar, an der Bibliothek. Wie sehr freue ich mich immer, wenn ich in der Bibliothek eines bekannten Autors Bücher entdecke, die ich selbst gelesen habe, die ich kenne, besitze oder zumindest von ihnen gehört habe.
Die Museumsbibliothek ist gleichzeitig eine öffentliche Bücherei. Im Carola-Stern-Raum interessiert mich besonders das Regal mit der Aufschrift: Nicht auszuleihen. Ich handelt sich um Besitztümer der Autorin. Ich ziehe ihr Buch „Doppelleben“ heraus, bespickt mit handschriftlichen Bemerkungen Streichungen und Unterstreichungen. Anscheinend bereitete sie so ihre Lesungen vor. Ich habe noch nie gehört oder gesehen, dass eine Schriftstellerin mit ihrem bereits fertig gedruckten und publizierten Buch so kritisch umgeht. Die Zettelchen der Autorin interessieren mich brennend – ihr Lesstil, ihre Arbeitsweise, ihr Wesen – höchst interessant!
Am Ende fällt mir ein Buch in die Hand (nicht ausleihbar). Der Titel interessiert mich: Zeugnis zu dritt. Man kann es online bestellen als e-book oder gebraucht. Es gibt 5 Exemplare. Ich nehme das älteste.
Mitgenommen ins Leben
- Lesevorhaben: „Doppelleben“ von Carola Stern und „Zeugnis zu tritt“ von Egon Richter
Links
- Hans Werner Richter – Haus www.bansin.m-vp.de/hans-werner-richter-haus/
- Hans Werner Richter de.wikipedia.org/wiki/Hans_Werner_Richter
- Carola Stern de.wikipedia.org/wiki/Carola_Stern
- Egon Richter de.wikipedia.org/wiki/Egon_Richter
- Gruppe 47 de.wikipedia.org/wiki/Gruppe_47
Anschrift
Hans Werner Richter-Haus
Waldstraße 1a
17429 Seebad Bansin
hwr-haus (at) drei-kaiserbaeder.de